ein Augenblick im Advent #15

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Gestern Abend waren wir bei einer Lesung von Rafik Schami. Wobei Lesung eigentlich das falsche Wort ist. Es war viel mehr eine Erzählung.

Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren und lebt seit 1971 in Deutschland. Gestern machte er mit uns einen Stadtrundgang durch Damaskus, mit einer Geschichte pro Gasse. Was heißt hier eine? Die eine Geschichte war immer nur die Ausgangspunkt für ganz viele, kleine Anekdoten. Schami schaffte es aber immer wieder zum roten Faden zurückzukommen – einen bunten ausgeschmückten roten Faden habe ich vorher noch nie gesehen. Schami ist auf jeden Fall ein Meister des Erzählens. Gekonnt verbindet er in 90 Minuten Themen wie Stadtplanung, Marienverehrung (ein Thema, das mich gerade verfolgt), Kaligraphie und Nudelsalate. Langweilig wird es dabei nie. Und auch seine Anliegen wie ein guter Umgang zwischen und mit den verschiedenen Kulturen wirken nicht aufgesetzt. Ebenso locker thematisiert er seinen christlichen Glauben, wirbt dabei aber auch um Respekt für den Islam.

So erzählte er zum Beispiel von seinem Heimatdorf, in dem 40% katholische und 40% orthodoxe Christen lebten, die sich aber oft sehr uneins waren, so dass der Scheich der islamischen Minderheit sie immer wieder dazu auffordern musste, sich zu versöhnen, da sie ja Geschwister sind …

Bücher von Rafik Schami findet ihr hier bei amazon.de.

KD-Projekt oder Zeit haben

Alex Kupsch steckt gerade in einem fast wahnwitzigen Selbstversuch: Dem KD-Projekt. In einem Jahr möchte er die komplette Kirchliche Dogmatik von Karl Barth lesen. Also 9000 Seiten voller anspruchsvoller Theologie.

Vorhin hat Alex einige sehr gute Sätze aus einer Fußnote der KD auf dem KD-Projekt-Blog zitiert:

Wir mögen dabei [dass Gott Zeit für uns hat] wohl daran denken, daß Zeit haben für einander (…) in Wirklichkeit den Inbegriff aller Wohltaten bezeichnet, die ein Mensch dem andern erweisen kann. Wenn ich jemandem meine Zeit wirklich schenke, dann schenke ich ihm eben damit das Eigentlichste und Letzte, was ich überhaupt zu verschenken habe, nämlich mich selber. Schenke ich ihm meine Zeit nicht, so bleibe ich ihm gewiß alles schuldig und wenn ich ihm im übrigen noch so viel schenkte. (KD I/2, 60)

Man kann festhalten: Alex hat Zeit. Zeit für Karl.

aber ein Buch fehlt

Eben auf dem Heimweg unterhielt ich mich über Bücher und später auch über “die Emergenten”. Der neben mir Fahrende erzählte, dass er sich meine Bücher-Jahrescharts der letzten Jahr angeschaut hatte. Positiv erwähnte er sowohl “Der Name der Rose” als auch “Schuld und Sühne“. Dann aber sagte er: “Aber ein Buch fehlt: Les Miserables.”

Das konnte ich natürlich nur bestätigen. Nachdem ich vor zwei Jahren das Musical in London sah, nahm ich mir vor das Buch mal zu lesen. Dass das Buch in der Bücherei dann aber aus vier Büchern bestand, hat mich schon etwas abgeschreckt. Dabei hatte mich die Darstellung von Gnade, vom “Kingdom of Love” im Musical schon bewegt…

Mal schauen, wann ich mal dazu komme, dieses Meisterwerk zu lesen. Bis dahin erstmal ein Zitat aus dem Musical:

To love another person is to see the face of God.

Rezension: Beziehungsweise leben

Eben habe ich meine erste Rezension bei Amazon veröffentlicht. Lest selbst:

Beziehungsweise leben: Inspirationen zum Leben und Handeln im Einklang mit Gott und Menschen” hat mich vom ersten Moment an begeistert. Das Buch wurde von Denis Holzmüller außergewöhnlich (und gut) gestaltet (er wird wie alle Autoren und sogar die Lektorin am Ende des Buches mit Foto und kurzem Text vorgestellt) und schon der Blick ins Inhaltsverzeichnis verheißt eine spannende Lektüre zu den Stichworten Spiritualität, Gerechtigkeit und Gemeinschaft – und dass alles unter dem Motto “beziehungsweise leben”.

In der Einleitung, die man auf keinen Fall überspringen sollte, behandeln die Herausgeber zwei grundlegende Themen und stellen dabei zwei Thesen auf: 1. Der Mensch existiert nur in und durch Beziehungen und 2. Gott hat eine Mission/Sendung mit der/in die Welt, die er liebt und an dieser Mission können wir mitwirken. Beides begründen sie in der Dreieinigkeit Gottes.

Im weiteren Buch werden diese grundlegenden Gedanken in den Themenbereichen Spiritualität, Gerechtigkeit und Gemeinschaft durch insgesamt 17 Autoren konkretisiert. Dabei haben die einzelnen Autoren unterschiedliche Schwerpunkte und teilweise auch Meinungen, was deutlich macht, dass es nicht den einen richtigen Weg bzw. die eine richtige Umsetzung der Grundgedanken gibt. Mir gefällt dabei, dass die meisten Artikel sehr persönlich und ehrlich geschrieben sind: Die Autoren scheuen auch nicht davor zurück, von gescheiteren Versuchen zu berichten.

Außerdem haben die gut verständlichen, aber trotzdem tief gehenden Artikel eine angenehme Länge. Man kann gut einen Artikel am Stück lesen, sie sind aber nicht so kurz, dass sie nur an der Oberfläche kratzen würden.

Mir fällt kein Grund ein, warum ich diesem Buch nicht fünf Sterne gebe sollte.

Für die Möglichkeit, über beziehungsweise-leben.de, Blogs, Facebook und Twitter mit den Herausgebern/Autoren direkt in Kontakt zu treten, würde ich dem Buch gerne auch noch einen sechsten Stern geben.

ZeitGeist 2 – Postmoderne Heimatkunde

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Habe ich eigentlich erwähnt, dass es eine Fortsetzung von ZeitGeist gibt? Und dass ich wieder einen Artikel beigesteuert habe?

Unter dem Untertitel “Postmoderne Heimatkunde” findet sich in ZeitGeist 2 wieder eine bunte Sammlung an Artikeln von einer mindestens so bunten Sammlung an Autorinnen und Autoren. Ich bin selber noch gar nicht dazu gekommen, das Buch zu lesen (bin noch mit beziehungsweise leben beschäftigt), aber man kann davon ausgehen, dass es ebenso viele Inspirationen wie der erste Band bietet.

Passions- und Osterzeit

Heute beginnt die Passionszeit, die Zeit in der wir uns an den Leidensweg Jesu erinnern. Diese Zeit ist traditionell auch die wichtigste Fastenzeit im Kirchenjahr. Die letzten Jahre wird diese Zeit auch von immer mehr evangelischen Christen bewusst als Fastenzeit gelebt. Auch ich habe die letzen Jahre jeweils auf etwas verzichtet und darüber auch meistens etwas hier geschrieben. So zitierte ich z.B. schon zweimal einen Text von Anselm Grün aus dem Buch Fasten. Da das letzte Mal schon drei Jahre her ist, zitiere ich nun den Abschnitt einfach noch einmal:

Fasten ist nicht Selbstzweck. Bei der Wiederentdeckung dieser lange verschütteten Praxis hat man es manchmal zu absolut gesetzt. Fasten ist ein bewährtes Mittel geistlicher Askese, das uns zusammen mit Gebet und Almosen in die richtige Haltung Gott und den Menschen gegenüber bringen kann. Entscheidend für das richtige Verständnis des Fastens ist es, dass es nicht isoliert gesehen wird, sondern in Verbindung vor allem mit dem Gebet. Fasten ist Beten mit Leib und Seele. Fasten zeigt, dass unsere Frömmigkeit leibhaft werden, dass sie Fleisch annehmen muss, so wie das Wort Gottes in Jesus Christus Fleisch an genommen hat.

Aber ich möchte heute am Aschermittwoch nicht nur über die Fastenzeit schreiben, sondern auch über die Osterzeit. Der englische Bischof N.T. Wright (von dem es endlich auch ein Buch auf deutsch gibt) schreibt in dem absolut lesenswerten Surprised by Hope darüber, wie wir Ostern und damit die Auferstehung feiern. Er schreibt:

Ich kann es nicht nachvollziehen und finde es nicht gerechtfertigt, dass wir 40 Tage die Fastenzeit halten sollen, dabei über die Bedeutung grübeln, über Selbstverleugnung predigen, zumindest etwas bedrückt sind und dann bringen wir es mit der Karwoche zu einem Höhepunkt, die wiederum ihren Höhepunkt an Gründonnerstag und Karfreitag hat . . . und dann, nach einem recht gewöhnlichen Karsamstag, haben wir einen einzigen Tag, an dem wir feiern.

Er schlägt vor die ganze Osterwoche zu feiern:

Es sollte ein achttägiges Fest sein – mit Champagner, der nach den Morgengebeten serviert wird oder sogar davor, mit vielen Hallelujas und besondern Liedern und spektakulären Hymnen. Ist es verwunderlich, dass es den Leuten schwer fällt, an die Auferstehung Jesu zu glauben, wenn wir unser Hüte nicht in die Luft werfen?

(N.T. Wright, Surprised by Hope, S. 256, frei übersetzt von mir)

Wright fordert dazu auf “unseren grössten Tag” auf neue kreative Art und Weise zu feiern: Mit Musik, Kunst, Spielen, Literatur, Tanz etc. Außerdem schlägt er vor, auch die 40 Tage nach Ostern (bis Himmelfahrt) bewusst zu leben, indem wir neue Dinge für die Zeit tun:

Eine neue Aufgabe oder ein neues Projekt, etwas ganzheitliches und fruchtbares und aufgeschlossenes und sich-selbst-gebendes. … Vielleicht weckt es dich in einer ganz neuen Art und Weise auf. Und das ist es, worum es an Ostern geht.

(N.T. Wright, Surprised by Hope, S. 257, frei übersetzt von mir)