Zitat für den Augenblick 046

Seit vielen Jahren ist die europäische Abschottung der Schutz der EU-Außengrenzen ein aktuelles Thema und wird es wohl leider auch noch bleiben. Eine paradoxe Situation.

Dazu ein Zitat aus dem starken Roman »Gehen, ging, gegangen*«:

Führt der Frieden, den sich die Menschheit zu allen Zeiten herbeigesehnt hat und der nur in so wenigen Gegenden der Welt bisher verwirklicht ist, denn nur dazu, dass er mit den Zufluchtsuchenden nicht geteilt, sondern so aggressiv verteidigt wird, dass er beinahe schon selbst wie Krieg aussieht?

Jenny Erpenbeck, Gehen, ging, gegangen*, S. 298


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Heute Bonhoeffer, morgen NPD

Heute Bonhoeffer:

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Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R0211-316 / CC-BY-SA

Heute vor siebzig Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer hingerichtet.
Um 17:30 Uhr werde ich zur Enthüllung einer Gedenktafel an einem ehemaligen Wohnhaus Bonhoeffers in unserer Nachbarschaft gehen. Die Idee dazu entstand im Ökumenischen Arbeitskreis Prenzlauer Berg, zu dem ich auch gehöre. Katharina Jany vom Arbeitskreis schreibt dazu:

Die drei Monate, die Bonhoeffer hier gelebt hat, werfen ein besonderes Licht auf die Persönlichkeit dieses großen Kirchenmannes. Dass Bonhoeffer als Universitätsprofessor, die Arbeit mit den Konfirmanden aus dem einfachen Arbeitermilieu, für so wichtig hielt, dass er sich hier ein Zimmer mietete, zeugt von einem starken christlich motivierten Verantwortungsgefühl für die ihm anvertrauten Jugendlichen.

Bonhoeffer selbst schreibt über den Prenzlauer Berg und Mitte:

Das ist so ungefähr die tollste Gegend von Berlin mit den schwierigsten sozialen und politischen Verhältnissen

Anschließend wird Altbischof Wolfgang Huber einen Vortrag zum Thema »Du sollst nicht töten – Bonhoeffers Friedensethik heute« in der Zionskirche halten. Über das gleiche Thema schreibt heute auch sein Nachfolger Heinrich Bedford-Strom auf Zeit Online: Wer fromm ist, muss politisch sein

Morgen NPD:

Heute – 70 Jahre nach Bonhoeffers Tod  und auch nach Kriegsende – brennen in Deutschland (mal wieder) Flüchtlingsheime.

Und für morgen 19:00 Uhr ruft die NPD zu einer Kundgebung vor den Schönhauser Allee Arcaden unter dem Motto »Gentrifizierung stoppen – Mietwucher und Verdrängung stoppen!« auf und fordert offen einen »nationalen Sozialismus« als Alternative.

Da kann ich nur auf die Aufrufe der Antifa und der lokalen SPD zu Protesten gegen die öffentliche Werbung für den Nationalsozialismus hinweisen.
Und hoffen, dass die Erinnerung an Bonhoeffer nicht nur dem Reden und Gedenken dient, sondern Vielen auch Impulse zum Handeln gibt.

 

 

Weihnachtslieder werden gesungen

Die größten Weihnachtschöre Deutschlands sangen schon gestern und vorgestern Abend:

Gestern trafen sich 27.500 1. FC Union Berlin-Fans in ihrem Stadion, der Alten Försterei, um gemeinsam Weihnachtslieder zu singen. Ein Köpenicker Pfarrer im Ruhestand liest dabei – wie jedes Jahr – die Weihnachtsgeschichte vor:

Ehe Müller die Zeilen aus dem Lukas-Evangelium liest, spricht er über Krieg und Frieden und über die Flüchtlinge, die aus Not und Angst vor dem Tod nach Deutschland flüchten. Er wirbt um Verständnis für sie, so wie es der Klub sonst auch tut: Vor ein paar Wochen hatte der 1. FC Union seine Fans aufgerufen, an einer Mahnwache für Flüchtlinge teilzunehmen.

Süddeutsche.de, 24.12.2014

Am Abend vorher versammelten sich in Dresden 17.500 Menschen, um der Einladung von PEGIDA zum Weihnachtsliedersingen zu folgen:

Gemütlich wird es auch beim eigentlichen Singen nicht, weil ganz einfach kaum jemand mitsingt. Das christliche Abendland ist entweder nicht textsicher oder, und das ist wahrscheinlicher, es mag jetzt einfach nicht so gern O du Fröhliche singen, es mag lieber schimpfen.

ZEIT Online, 23.12.2014

Welch ein Kontrast!

Es gäbe noch viel dazu zu schreiben, heute möchte ich aber stattdessen die ersten drei Strophen eines Weihnachtsgedichts (oder Lied, wer vertont es?) von Tim Allgaier zitieren und euch frohe Weihnachten wünschen!

Kurz nach Weihnachten:
Drei politische Flüchtlinge am Mittelmeer,
fern von Bethlehem.
Ein Mensch ist illegal,
vom nahöstlichen Despoten zum Asylsuchenden gemacht.
Ziel: klamm heimliche Einwanderung.
Stille Nacht, eilige Nacht.

Die Mutter: sehr jung, kürzer verheiratet als schwanger gewesen.
Der Vater: erklärt den Skandal mit Engeln…
Jeder denkt, sie brennen durch:
Das sittenwidrige Paar Provinzler,
dass das verbotene Kind bei den Tieren gebar,
erfahren im Umgang mit zwielichtigen Gestalten wie Schäfern und ausländischen Magiern.
Brave Maria.
Im Arm: illegal, allen egal
– der heruntergekommene Gott.

Später wird er ‘von Nazareth’ genannt werden.
Er kommt von dort, ohne bisher dort gewesen zu sein.
Das Schicksal jeder zweiten Flüchtlings-Generation.
Geburtsort: Bethlehem
Wohnort: noch ungewiss.
Flucht ums Mittelmeer herum-
Muttersprachlich fremd aufwachsen im fremden Land.
Gastarbeiterkind, Migrationshintergrund
– der herum gekommene Gott

Ihr solltet auch die weiteren Strophen lesen – hier bei Blue Eyed Believer

Der Buchdruck, die Eisenbahn, das Internet

Zurzeit gibt es einige ziemlich absurde Debatten über das Internet. Stichworte sind Leistungsschutzrecht, digitale Demenz u.s.w.

Egal ob du dich schon mit diesen Debatten auseinandergesetzt hast oder nicht, empfehle ich dir, folgenden Vortrag vom Zeit Online-Chefredakteur Wolfgang Blau anzuschauen/-hören oder bei Stefan Niggemeier nachzulesen. Er geht dort nicht nur sehr gut auf das Leistungsschutzrecht ein, sondern auch auf den großen kulturellen Wandel, der durch das Internet angestossen wurde und dessen Auswirkungen wir noch nicht überblicken können. Was das ganze mit dem Buchdruck und der Eisenbahn zu tun hat, hört ihr euch besser selbst an (der Ton wird übrigens nach ein paar Minuten besser):

Ein Prediger

Nachdem ich heute morgen gepredigt habe, lese ich jetzt natürlich interessiert einen Artikel, der mit folgenden Sätzen beginnt:

Der wahre Prediger braucht zum Predigen keine Kanzel. Denn er steht auf keinem höheren Standpunkt als seine Gemeinde, er beugt sich aber auch nicht huldvoll herab.

Weiter geht es in diesem Artikel der ZEIT nicht über das Predigen an sich, sondern über einen Prediger, der bald Bundespräsident wird: Joachim Gauck. Das Thema Predigen und auch Theologie allgemein bleibt aber zentral in dem, was Evelyn Finger schreibt.

Interessant sind auch einige dort zitierte Aussagen von Wolfgang Thierse (den ich mir auch als Bundespräsident vorstellen könnte), wie z.B. folgende:

Wir haben in Deutschland die Trennung von Kirche und Staat, aber nicht die Trennung von Religion und Politik – nur deren Unterscheidung. Die beiden Sphären haben sich ausdifferenziert, aber es gibt Zusammenhänge zwischen ihnen, und diese Zusammenhänge werden von den Menschen gelebt.

Wenn ihr also ein paar Minuten Zeit habt, lest den Artikel, der nicht nur für Prediger und Pastoren interessant ist.


Nachtrag (2012-02-27):

Sowohl Titel als auch Untertitel sind natürlich nicht so glücklich gewählt (wurden sicherlich nicht von der Autorin verfasst). Mit einer anderen Überschrift gäbe es sicherlich auch nicht so viele negative Kommentare …

Offen aus Tradition oder Sheriff Gnadenlos?

Erlangen. Offen aus Tradition.
So das Motto der Stadt, in der ich lebe.

Erlangen wird fairer.
So unser Motto mit fairlangen.org.

Sheriff Gnadenlos.
So wurde ein Mitarbeiter des Erlanger Ausländeramtes bezeichnet.

Nach einer Pressekonferenz Ende November wird in Erlangen und teilweise auch bayern- und deutschlandweit heftig über den Umgang des Erlanger Ausländeramtes mit Ausländern diskutiert. Der Vorwurf lautet, dass dort der Ermessensspielraum der Beamten häufig deutlich zu Ungunsten der Menschen ausgenutzt wird.

Einen Überblick über die zahlreichen Presseberichte zu dem Thema (von Erlanger Nachrichten über SZ bis zur taz) findet ihr findet ihr beim Flüchtlingsrat Bayern.

Und einen ersten Überblick, um was es überhaupt geht, bietet dieser Beitrag, der letzte Woche im TV-Magazin quer gezeigt wurde:

Inzwischen wurde bekannt, dass dieser Mitarbeiter (»Sheriff Gnadenlos«) das Amt wechseln wird.  Ich denke aber nicht, dass damit das Problem gelöst ist. Denn was bei dem quer-Bericht leider nicht so deutlich wird, ist, dass es bei den Vorwürfen nicht nur um diesen einen Beamten geht, sondern um eine Tendenz, die sich anscheinend durch große Teil der Arbeit des Ausländeramtes durchzieht. Außerdem ist es kein Phänomen, das erst in den letzten zwei, drei Jahren auftauchte. Sowohl Mitglieder des Erlanger Ausländer- und Integrationsbeirates als auch in der direkten Flüchtlingshilfe Aktive sagen, dass das Problem schon seit Jahren bekannt ist und es auch immer wieder Gesprächsversuche mit der Stadtverwaltung und Politik gegeben hat.

Ein in Erlangen lebender Ausländer hat mir außerdem erzählt, dass aus seiner Erfahrung viele Ausländer – egal welcher sozialer Schicht– es so weit wie möglich meiden, sich in Erlangen anzumelden und hier eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Studenten, die in Erlangen studieren wollen, suchen daher häufig eher eine Wohnung in Nürnberg, um mit dem Erlanger Ausländeramt nichts zu tun haben zu müssen. Andere behalten die deutsche Stadt, in der sie vorher gelebt haben, als Hauptwohnsitz und melden sich nur mit dem Zweitwohnsitz in Erlangen an. Für mich sprechen das und weitere Berichte von Bekannten, die persönliche Erfahrungen mit dem Ausländeramt hatten, eine deutliche Sprache.

Nun hat sich die katholische Pfarrgemeinde Herz Jesu in einem offenen Brief zu Wort gemeldet. Da mir der Brief nicht vorliegt, zitiere ich aus dem Bericht der Erlanger Nachrichten:

Die Verfasser sprechen sich in dem Schreiben dafür aus, dass die Flüchtlinge die Gewissheit haben sollen, „dass die Behörden, die unsere Gesellschaft vertreten, bereit sind, ehrlich, effizient und ernsthaft ihre bestehenden gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten zum Wohl der Hilfesuchenden anzuwenden.“

Konkret setzt sich die katholische Pfarrgemeinde Herz Jesu für „verbindliche Leitlinien“ für den Umgang der Ausländerbehörde mit Flüchtlingen ein: „Die Gnade Jesu war immer besonders auf die Armen und Schutzlosen gerichtet. Als Christen sehen wir unsere Aufgabe darin, den Schwachen, die nicht gehört werden, eine Stimme zu geben.“

Den Brief hätte ich gerne auch unterschrieben.

Denn ich sehe in der Bibel, in der Flucht und Migration von den ersten Kapiteln an ein Thema sind, eine klare Linie zum Umgang mit Ausländern. Levitikus 19,33-34 habe ich ja hier schon einmal zitiert:

»Wenn sich ein Ausländer bei euch niederlässt, sollt ihr ihn nicht ausbeuten. Den Ausländer, der bei euch wohnt, sollt ihr wie einen von euch behandeln und ihr sollt ihn lieben wie euch selbst. Denn ihr selbst wart einst Fremde in Ägypten. Ich bin der Herr, euer Gott.«

Auf Jesus, der selbst auch Flüchtling war, ging der offene Brief ja schon ein. Ich möchte hier nur noch Jesu Aussage in Matthäus 25,35 erwähnen:

»Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.«

Ich wünsche mir, dass Menschen, die sich auf den weiten Weg ins schöne Erlangen gemacht haben, sagen können:

»Ich bin nach Erlangen gekommen und wurde herzlich aufgenommen.«

Und ich frage mich, wie ich als Erlanger Ausländer herzlich aufnehmen kann.