Spiralen der Erinnerung

Vielleicht fragt dich eines Tages jemand,
der noch unbestechlich:
Wie viel Menschen waren glücklich, dass du gelebt?
Und du gleitest durch Spiralen der Erinnerung…

So hörte ich vorhin im Auto Hildegard Knef sprechen. Ein Lied auf einem alten Tape. Ich fuhr nach Korbach, in meine alte Schulstadt, um mich mit alten Freunden zu treffen. Vorher fragte mein Vater, ob ich das größere Auto oder den alten Corsa nehmen möchte. Ich entschied mich natürlich für den Corsa, den dort ist noch ein altes Autoradio mit Kassettenspieler drin. Das ist für mich eindeutig das schönste am Auto fahren: Tapes mit schöner Musik hören. Am liebsten welche, die ich vor vielen Jahren mal mühevoll zusammengestellt und inzwischen unzählige Mal im Auto gehört habe.

Inzwischen gehöre für mich einige Lieder einfach zusammen, dadurch, dass ich sie irgendwann einmal hintereinander aufgenommen habe. Zu einigen Tapes habe ich eine viel intensivere Beziehung, als ich sie je zu irgendwelchen Playlists bekomme werde. Heute sind für mich Songs die ich höre meist nur ein Zufallsprodukt aus einer fast unendlichen Mediathek auf meinem Computer. Auf den Tapes sind die Songs in der gleichen Reihenfolge. Seit vielen Jahren. Und sie werden so bleiben. Ich kann sie auch nach vielen Monaten noch mitsingen (was ich auch nur im Auto tue).

Außerdem erinnern mich diese nächtlichen Fahrten über altbekannte Straßen an längst vergangene Momente, Erlebnisse, Begegnungen, Konzerte, Parties, Autofahrten, Gespräche, Menschen. Ich gleite durch Spiralen der Erinnerung.

Übrigens: Auf Hildegard Knef und speziell auf dieses Lied bin ich durch die seit wenigen Tagen nicht mehr existenten Radiosendung „Der Ball ist rund“ gestossen, die bald 25. Jubiläum hätte. Auf Knef bezog sich das Album „Spiralen der Erinnerung“ von Justus Köhncke, was Klaus Walter dann auch als Thema für eine Sendung nahm. Übrigens: Von Justus Köhncke war übrigens auch das letzte Liede überhaupt bei „der Ball ist rund“: „Was ist Musik?„. Was übrigens der Titel einer auch sehr guten Sendung von Klaus Walter bei byte.fm ist.

Nochmal übrigens: Im Juli 2007 entstand nach einer nächtlichen Autofahrt der erste schriftliche Entwurf dieses Blogartikels, nur mit dem Titel und dem Liedtext. Die Idee über Tapes im Auto zu bloggen hatte ich schon davor regelmäßig, wenn ich mal zu Hause war und nachts Auto fuhr.

Aufgeklärter, selbstironischer Fundamentalismus

Pastor and wife join voices in sacred folk songs for All Ages“ So steht es auf dem fromm-kitschigen Cover des ersten Albums von The Welcome Wagon, das schlicht „Welcome to the Welcome Wagon“ heißt. Und diese Aussage stimmt. Produziert und arrangiert wird das ganze von so einem anderen Christen, der Folk-Songs schreibt und singt und der das große Projekt hat, zu jedem US-Bundesstaat ein Album zu veröffentlichen: Sufjan Stevens.

Gehört habe ich The Welcome Wagon das erste Mal auf der aktuellen Spex-CD (die Spex habe ich mir wegen des Jahresrückblicks gekauft). In dem Heft zur CD endet die Rezension Detlef Diederichsens mit folgenden Fragen:

Und gerade hier, etwa angesichts des Belcanto-Geschmetters des Names des Herrn in ‚Jesus‘, stellt sich unwillkürlich wieder mal die Standpunktfrage: Kann ein offensichtlich so schlauer und mit zumindest musikalisch außergewöhnlich weiten Horizont gesegneter Typ so ein tausendprozentig übertriebenes Pathos ernst meinen? Wäre merkwürdig. Handelt es sich um zynische Albernheit? Wäre traurig. Oder gibt es so was wie aufgeklärten, selbstironischen Fundamentalismus? Wäre himmlisch, oder?

Ja, das wäre himmlisch. Und ich glaube, den gibt es. Und ich würde mich auch dazuzählen. Denn aus Diederichsens Perspektive vertrete ich sicherlich einen Fundamentalismus. Und selbstironisch kann ich auch sein. Aufgeklärt hoffentlich auch.

Auf jeden Fall gefällt mir die Musik und auch das Drumherum (dort auch ein kostenloses MP3 zum Download) des Welcome Wagons.

Heiligabend im ICE

24.12. 19:04 Uhr. ICE 582. Bordrestaurant. Gänsekeule mit Semmelknödel und Mandel-Brokkoli. Dazu eine Pepsi.

Gibt es etwas, das mehr nach Einsamkeit aussieht, als ein Mann, der an Heiligabend alleine im ICE-Bordrestaurant sitzt und ein typisches Weihnachtsgericht isst?

Ansonsten im Bordrestaurant: Die beiden jungen Damen vom Servicepersonal. Sie müssen jetzt nur wegen mir etwas tun. Vorher unterhielten sie sich noch. Jetzt zaubert die eine meine Gänsekeule. Wie macht sie das eigentlich? Sind die schon fertig und werden nur warm gemacht?

Beim Bezahlen sage ich dann: “Das ist ja auch nicht so schön, an Heiligabend hier arbeiten zu müssen.” Antwort: “Ach, solche wie uns muss es ja auch geben.”

Weihnachten. Ich allein im Zug. Was werden jetzt die Späher der Indianer ihrem Häuptling berichten? Ach stimmt, die Indianer habe ich euch ja noch gar nicht vorgestellt. Vorhin in unserem Gottesdienst haben die Kinder ein Theaterstück aufgeführt: Der Häuptling eines Indianerstammes möchte wissen, worum es bei dem großen Tam-Tam der Bleichgesichter geht, das sie Weihnachten nennen. Er sendet Späher aus, die dann verschiedene Bleichgesichter in der Weihnachtszeit beobachten: Gestresste Verkäuferinnen, die über die Speisen und Getränke sprechen, die sie verkaufen. Einen genervten Pfarrer, der keine neuen Ideen für die Weihnachtspredigt findet. Eine Familie, die über Gäste und Kleidung für Weihnachten diskutiert. Und drei Penner, die bei einem Bier über das Fest der Nächstenliebe diskutieren. Nach dem Theaterstück hörten wir von zwei Teens noch ein paar persönliche Gedanken zu Weihnachten. Sie endeten mit der Frage: “Was werden die Indianer über den Sinn von Weihnachten denken, wenn sie euch diese Tage beobachten?”

Ja, was werden sie denken? Weihnachten ist das Fest, bei dem die schnellen Züge ziemlich leer sind und nur ein paar vereinzelte Leute herumsitzen und nicht miteinander reden.

Im langsamen Zug, der mich vorhin nach Nürnberg brachte, waren zumindest ein paar Leute. Gegenüber von mir ein junger Chinese, der zur Zeit in Erlangen arbeitet, aber heute eigentlich in München (was für ihn eine kleine Stadt ist) sein wollte. Aber irgendwie hatte er seinen Pass vergessen und musste deshalb noch einmal hin und her fahren. Für ihn bedeutet Weihnachten vor allem ein paar freie Tage, die man zum durch Europa reisen nutzen kann.

Und für mich? Sufjan Stevens Songs for Christmas hören und dabei diesen Text im Writeroom tippen? Oder die Vorfreude, auf das, was dieses Weihnachten noch bringen wird? Only at Christmas time singt gerade Stevens. Das erinnert mich daran, dass ich mal die beiden Lieder hören könnte, die sich für mich seit vielen Jahren am meisten nach Weihnachten anfühlen: Microshopping von Alter Ego und Into The Blue von Moby. Das höre ich jetzt mal und schaue aus dem Fenster. Und sehe: Mich. Mein Spiegelbild, das irgendwas ins MacBook tippt. Ich schliesse die Augen, die ersten Töne von Microshopping erklingen. Es ist Weihnachten.

Das größte Wunder

Vor zweitausend Jahren ereignete sich der größte Skandal der Weltgeschichte:
Gott, der Ewige, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde.
Der Allerhöchste, Gott aller Götter, Herr aller Herren, Gott der Herrlichkeit, der große, furchtbare, eifernde Gott … wurde Mensch.
Das ewige Wort, das schon immer war und immer sein wird.
Das Wort, durch das alles entstand, was da ist.
Das Wort, das Leben und das Licht der Menschen
– kam in die Welt.
Das Wort wurde Fleisch.
Es wohnte mitten unter den Menschen.

So begann meine Predigt zum vierten Advent, die man hier anhören kann (im Hintergrund hört man Musik, die ich vor 11 oder 12 Jahren zu Weihnachten auf CD geschenkt bekam).

Damit grüße ich alle meine Leser und wünsche wundervolle Weihnachtstage voller Wunder und voller Staunen!

Zitat für den Augenblick 038

Auch ich lese zur Zeit den Artikel über Paulus und die Philosophen in der Zeit. Habe zwar gerade ein Probeabo, kam aber letzte Woche nicht dazu, den Artikel zu Ende zu lesen. Eben las ich weiter und stieß auf folgenden Absatz (der auch zur Diskussion über Werte bei meinem letzten kurzen Artikel passt):

Alain Badiou lehnt alle drei Modelle [einer Begründung des Politischen; D.H.] ab. Für ihn besteht die Radikalität von Paulus gerade darin, dass die neue christliche Gemeinschaft weder auf gemeinsamen Werten noch auf gemeinsamen Regeln noch auf dem Respekt vor Verschiedenheit beruht, sondern allein auf dem Bekenntnis zum Christusereignis.

Zur Debatte über den Q-Rage-Artikel

… sagt Rolf Krüger alles Notwendige in einer guten Art und Weise.
Lest selbst (UPDATE: Leider ist der Artikel bei Rolf Krüger verschwunden).


Nur ein kurzer Gedanke (unter 140 Zeichen) von mir am Rande:

Spätestens wenn kreuz.net, Junge Freiheit und PI mich unterstützen, würde ich mir Gedanken machen, ob ich nicht irgendwie falsch liege.