Bei beiden „Entdecke Emerging Church“-Seminaren am Samstag kam die Frage auf, ob nicht auch Kritik an der Gesellschaft wichtig wäre, Jesus habe ja auch ziemlich deutlich Sünde/Missstände angesprochen. Davor hatte ich von Inkarnation, Kontextualisierung und „in die Welt gesandt sein“ gesprochen
Ein paar Gedanken zu diesen Nachfragen/Vorwürfen (am Samstag waren es Nachfragen, ich habe das aber auch schon als Vorwurf gehört/gelesen):
Christen sollten nicht nur als Moralapostel mit erhobenem Zeigefinger wahrgenommen werden. Ich will nicht zu einem Verein gehören, der vor allem dafür bekannt ist, gegen Homosexualität, Abtreibung und Evolution zu sein. Denn im christlichen Glauben geht es nicht darum, gegen etwas zu sein. Es geht um eine gute Botschaft, um einen Gott der für uns ist.
Ja, es besteht die Gefahr, dass wir uns in der Gesellschaft auflösen und kein klares Profil mehr zeigen (und das ist sicherlich auch eine der Gefahren der Emerging Church). Das ist aber nicht mein Ziel und auch nicht das Ziel der Leute aus dem „emergenten Diaolog“, die ich kenne.
Gemeinde sollte „Kontrastgesellschaft“ sein. Jesus drückt das wunderbar mit den Worten Salz bzw. Licht der Welt aus. Ein klarer Kontrast. Aber ein positiver.
Dazu ein Absatz aus meiner Diplomarbeit:
So ist es auch heute nicht die Aufgabe einer Gemeinde die gesellschaftlichen Strukturen und Lebensentwürfe zu bewahren, sondern diese zu hinterfragen und eine alternative Kultur zu vermitteln. Dabei hinterfragt die Gemeinde die Gesellschaft nicht einfach um des Widerspruchs willen, sie schaut auch nicht aus einem elitären Verständnis auf die Gesellschaft herab. Was Kontrastgesellschaft stattdessen bedeutet, führt GERHARD LOHFINK in Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? aus:
Gemeint ist vielmehr einzig und allein Kontrast für die anderen und um der anderen willen, also jene Kontrastfunktion, die unüberbietbar ausgesprochen ist in den Bildern vom Salz der Erde, vom Licht der Welt und von der Stadt auf dem Berg (Mt 5,13f). Gerade weil die Kirche nicht für sich selbst, sondern ganz und ausschließlich für die Welt da ist, darf sie nicht zur Welt werden, sondern muß ihr eigenes Gesicht behalten. Falls sie ihre Konturen verliert, ihr Licht auslöscht und ihr Salz schal werden läßt, kann sie die übrige Gesellschaft nicht mehr verändern. Dann hilft keine missionarische Aktivität mehr; dann hilft kein noch so betriebsames gesellschaftliches Engagement nach außen hin mehr. (Lohfink, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt, 169)
Außerdem braucht man Autorität und/oder eine gute Beziehung, damit Kritik auch wirklich ankommt. Wenn ein Professor mich (bzw. meine Gedanken/Taten) kritisiert, höre ich hin. Wenn ein Freund mich kritisiert, höre ich hin. Aber wenn ein merkwürdiger Fremder mich kritisiert, interessiert mich das äußerst selten. – Für die meisten Menschen sind wir Christen merkwürdige Fremde
Bevor wir kritisieren sollten wir versuchen, erst einmal positiv aufzufallen. Indem wir das tun, wozu wir von Jesus eindeutig berufen sind: Unsere Nächsten (ganz praktisch) zu lieben. Ja, wo fordert uns eigentlich Jesus auf, Sünde in der Gesellschaft (bzw. bei Menschen außerhalb der Gemeinde) zu kritisieren? Mir fallen da spontan eher gegenteilige Stellen ein: Matthäus 7,1-5 zum Beispiel.
Wenn irgendein Pfarrer ein Buch über sexuelle Verwahrlosung bei Kindern und Jugendlichen in einem frommen Verlag schreiben würde, wen/welche Medien würde das interessieren?
Wenn aber solch ein Pfarrer vorher ein großes christliches Kinder- und Jugendprojekt aufbaut, in dem Nächstenliebe und Einsatz für Gerechtigkeit („Trachtet zuerst nach “) praktisch werden, das wirklich Salz und Licht in teilweise ziemlich dunkler Umgebung ist, dann berichten plötzlich (fast) alle großen Medien darüber. Die Kritik kommt an.
Außerdem findet man auch in der „emerging conversation“ immer wieder klare Kritik an der Gesellschaft. Ein wichtiges Thema ist zum Beispiel Kritik an der Konsumgesellschaft (u.a. Jason Clark bei den „Emergent Deutschland“-Veranstaltungen letztes Jahr oder natürlich Shane Claiborne). Das Kritik/Umdenken/Handeln in diesen Bereichen notwendig, merkt die letzten Wochen hoffentlich jeder. Hier ist es sicherlich auch Aufgabe der Gemeinde, Kontrastgesellschaft zu sein und Alternativen aufzuzeigen.
Wie müsste das Leben der Christen/Gemeinden aussehen, damit wir in einer Gesellschaft, die von Konsum, Geiz, sexueller Verwahrlosung etc. geprägt ist, wirklich Licht für die Menschen um uns herum sind? – Und zwar kein Licht, dass nur auf als Scheinwerfer auf angebliche Sünde strahlt, sondern ein Licht, das den Menschen hilft, ein Licht, das es hell macht, das wärmt, das Freude bringt und den Weg weist.
positiv auffallen – ich bin dafür! Wen interessiert schon unser genöle, an dem was „die anderen“ alles falsch machen. Licht und Salz sein ist aber viel anstrengender als nölen. Vielleicht nölen deswegen lieber alle erstmal rum? Manchmal nöle ich auch gern.
Die Versuchung ist groß. Um Licht und Salz sein zu können braucht man Begeisterung und die scheint irgendwie an vielen Stellen zu fehlen.
Das erinnert mich irgendwie wieder an den Willowkongress im Februar wo der Bill erzählt hat, daß man für seine Motivation und Begeisterung hauptsächlich selber verantwortlich ist: http://blog.xxee.de/?p=318 das gehört eigentlich nicht zum thema =) Aber die Gedankengänge von Frauen sind halt oft so. *höhö*
„Wie müsste das Leben der Christen/Gemeinden aussehen, damit wir in einer Gesellschaft, die von Konsum, Geiz, sexueller Verwahrlosung etc. geprägt ist, wirklich Licht für die Menschen um uns herum sind? – Und zwar kein Licht, dass nur auf als Scheinwerfer auf angebliche Sünde strahlt, sondern ein Licht, das den Menschen hilft, ein Licht, das es hell macht, das wärmt, das Freude bringt und den Weg weist.“
Ist eine sehr gute und schwierige Frage. Abhängig vom konkreten Thema fällt es mehr oder weniger schwer, da Antworten zu finden. Daher habe ich viele Gedanken dazu, nur fällt es wegen der Themenfülle schwer, sie verallgemeinert in kurze Worte zusammenfassen.
Man kann bei vielen Dingen mit gutem Vorbild vorangehen. Bei anderen fällt aber doch schwer, einen Bezug zum eigenen Leben herzustellen, dennoch ist es wichtig, dass sie angesprochen werden. Manche Themen sind sehr unangenehm, so dass es leider nicht mit Freude verbunden sein wird, sie anzusprechen. Was Jesus in der Bergpredigt sagte, hat die Leute auch nicht gerade mit Freude und Wärme erfüllt.
Den Gedanken, dass man selber die Gesellschaft positiv beeinflussen soll, finde ich wichtig. Falsch fände ich es zu versuchen, Kritik aus diesem Grund zu unterbinden. Das kann fatal sein, denn oft geht es ja nicht nur darum, Kritik zu üben um der Kritik willen, sondern um eine schlimme Entwicklung zu verhindern. Man sollte diese wichtige Kritik natürlich nicht durch eigenes Verhalten unglaubwürdig machen.
Dann könnt man noch die Frage der Priorisierung der Probleme ansprechen, da sehe ich in der Christenheit (aber auch in der Gesellschaft) auch eine gewisse Schieflage. Interessant wäre auch die Art der Einflussnahme (Demo, Literatur, Lobbyismus, Organisation/Partei gründen etc.) zu diskutieren bzw. mit wem man zusammenarbeitet, denn die meisten Dinge werden ja nicht nur von Christen kritisiert.
Das war jetzt noch sehr allgemein und vielleicht etwas konfus, man müsste jetzt eigentlich noch in die konkreten Themen (Abtreibung, Armut, Globalisierung, Kapitalismus, Krieg, Medien, Sexualisierung, Überwachung/Datenschutz um einige wichtige zu nennen) reingehen.
Vielen Dank für eure Gedanken. Bin zu müde, um jetzt noch näher darauf einzugehen, aber denke, dass ihr bzw. eher wir hier gemeinsam in die richtige Richtung denken.
Ein (für mich) neuer Gedanke kommt mir doch noch: Man kann auch mit Kritik positiv auffallen. So werden z.B. Greenpeace und Attac inzwischen (zumindest in den Medien) meist positiv betrachtet.
Ich denke man kann mit Kritik nur positiv auffallen, wenn man irgendwie authentisch wirkt. D.H. wenn man auch zu der Kritik passende Taten erkennen kann. Womit wir doch wieder beim Salz und Licht sein wären und nicht beim Zeigefinger sein,… wobei es schon stimmt, daß man deswegen auch nicht gar nicht mehr kritisieren sollte. Nur vielleicht mehr um das passende leben zur Kritik kümmern?