Gottes großes Willkommen

Predigt zur Verabschiedung von FreiRaum am 22. August 2020

Verabschiedung im Stadtkloster Segen – Fotos: Constantin Schilberg

Predigttext

Bitte zunächst den Predigtext lesen: Lukas 19,1-10

Einstieg

Ich will Jesus sehen,
sehen wer dieser Mann ist,
was er tut und sagt.
Wie kann ich ihn sehen?
Ich bin doch so klein, so wertlos.
Ich habe zwar Geld,
aber den Regeln und Vorstellungen der Religiösen
entspreche ich nicht.
Wer bin ich denn?
Bin ich genug?

Trotzdem möchte ich ihn sehen,
Ist alles wahr, was andere über ihn sagen?
Wo ist er unterwegs? Wann ist er hier?
Ich ahne, da vorne könnte er sein.
Aber ich kann ihn nicht sehen.
Die anderen stehen mir im Weg,
– mit ihren Regeln, ihrer ach so feinen Moral,
ihrer mich verunsichernden Selbstsicherheit,
ihrem »Wir sind auf der richtigen Seite«
– und ich dann wohl auf der falschen?
Da kann ich nicht mithalten.
Dem werde ich nicht gerecht.
Da gehöre ich nicht dazu.

Sie jubeln Jesus zu,
aber die, die wie ich zu ihm wollen,
lassen sie nicht durch.
Sie könnten ja ihren heiligen Jesus
belästigen und beschmutzen.

Ja, ich spüre eine Sehnsucht
nach Begegnung, nach Geborgenheit, nach Gemeinschaft.
Ja, danach Gott zu erleben.
Aber in mir sind viele Fragen, Zweifel:
Ich bin mir unsicher:
über mich: habe ich neben meinem Reichtum überhaupt einen Wert?
über die Welt: ist sie so, wie ich es mir ausmale?
über Gott: ist er real oder nur ein großes Placebo?

Wer bin ich denn?
Ich schaue mal, ob ich, ohne bemerkt zu werden,
aus sicherer Distanz was sehen kann.
Vielleicht sehe ich Jesus ja doch?


Aber da ist diese andere Perspektive,
von dem, der alles im Blick hat.
Der den Einzelnen sieht,
der die vorne Stehenden im Blick hat,
der die zweifelnden und aus der ferne Beobachtenden im Blick hat,
der dich im Blick hat.
Im Blick hat und willkommen heißt.
Für Gott zählen nicht Reichtum, Macht und Körpermaße.
Und auch nicht Herkunft, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Alter, Geschlecht oder Zahl der Follower auf Instagram.
Jesus ist der, der radikal willkommen heißt,
dessen Liebe Grenzen und Unterschiede einreißen.


Motivation für FreiRaum

Diese Liebe Jesu motiviert und inspiriert mich jetzt seit sieben Jahren für mein Engagement bei FreiRaum.
Gottes großes Willkommen, das allen Menschen gilt, soll bei FreiRaum erlebbar sein.

Besonders zeigt sich dieses Willkommen und die grenzensprengende Liebe in den Gastmahlen Jesu, von denen die Evangelien vielfach berichten.
Ich bin davon überzeugt, dass es kein Zufall ist, dass die Bibel so viel vom gemeinsamen Essen mit Jesus am Tisch berichtet.
Daher treffen wir uns auch seit Oktober 2013 jede Woche mindestens einmal zum gemeinsamen Essen.

Drei Gesichter des Evangeliums

Manchmal habe ich mich aber auch gefragt oder wurde von anderen gefragt, wie ich das theologisch einordnen kann.
Geht es im Evangelium, also der guten Nachricht von Jesus Christus, nicht vor allem darum, dass uns unsere Schuld vergeben wird?
Dann wären gemeinsame Mahlzeiten einfach ein nettes Beiwerk.

Nein, ich glaube, dass diese gute Nachricht vielseitiger ist.
Diese Vielseitigkeit wurde mir sehr deutlich in einem Podcast des Bremer Pastors Jens Stangenberg, den ich vor 2 Jahren gehört habe. Er spricht dort in 15 Folgen von den »Drei Gesichtern des Evangeliums«. (Ebenso empfehlenswert: Martin Benz dazu im Movecast Folge 87 bis 91)

Darauf möchte ich kurz eingehen, bevor es zu Zachäus zurück geht:
Manchmal wird zwischen verschieden Grundprägungen von Gesellschaften und Menschen unterschieden:
Ganz grob gesagt sind wir im individualisierten Westen schuldorientiert, es geht um richtiges oder falsches Handeln,
viele afrikanische und lateinamerikanische Kulturen sind mehr von Angst, u.a. vor unsichtbaren Mächten, geprägt
und in Asien spricht man von Schamorientierung, wenn es viel um das Ansehen in einer Gemeinschaft geht.
Wie gesagt, das ist stark vereinfacht und tritt nie in Reinform auf. Spannend ist aber, dass Gott durch Jesus für alle drei Probleme Lösungen anbieten:
Wo Angst ist schenkt Jesus Schutz,
wo Schuld ist schenkt Jesus Vergebung
und wo Scham ist schenkt Jesus Annahme.
Drei Aspekte des einen Evangeliums.

Auch wenn es hier in Deutschland an sich nicht unsere Grundprägung ist, wird unsere Gesellschaft immer schamorientierter.
Besonders deutlich wird das bei Instagram, Youtube und anderen sozialen Medien.
Es geht nicht um einzelne Taten, sondern um die ganze Person:
Bin ich angesehen, wie viele Follower habe ich?
Wie viele Likes bekommen meine Bilder?
Werde ich zur Influencerin oder zum Mobbing-Opfer?

Aber nicht nur dort kennen wir diese Frage:
Gehöre ich dazu? Passe ich da rein?
Werde ich beschämt oder verehrt?

Ich habe das mal in einem Techno-Club erlebt:
Ich höre die Musik, hatte sogar vorher schon ein Ticket für die Party.

Vor und hinter mir die Leute werden ohne Ticket reingelassen.
Aber ich werde abgewiesen.
Ich sehe nicht so aus. Bin nicht der passende Typ.

Das war nur eine Party, also nicht weiter dramatisch für mich.

Aber viele Menschen in Berlin haben solche Gefühle jeden Tag:
Ich kann nicht mithalten,
ich werden den Maßstäben nicht gerecht,
ich werde ausgrenzt.
An mir ist etwas nicht so, wie es in der Gruppe, Familie, Gemeinde oder Gesellschaft sein sollte.
Und das kann ich nicht dadurch ändern, dass ich mich den Regeln entsprechend verhalte.
Als ganze Person passe ich nicht rein, bin wertlos.
Ich versuche mich anzupassen, aber es bringt nichts.
Ich werde noch nicht einmal wahrgenommen.
Niemand sieht mich.

Zachäus

Zachäus ist auch so ein nicht passender Typ, den niemand gesehen hat.
Er ist zwar mächtig aber ausgestossen
zwar wirtschaftlicher Gewinner aber sozialer Verlierer,
zwar groß im Geschäft, aber klein von Statur.
Er hat zwar Geld aber keine Ehre,
Macht aber keine Würde,
er ist zwar reich aber wertlos.

Er kooperiert mit der Besatzungsmacht, aber wird genau deshalb vom eigenen Volk als unrein angesehen und vom religiösen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.

Und dann hört er von diesem Jesus.
Er will beim diesem neuen Trend mitmachen,
Teil des Jesus-Hypes sein.
Wie kann er mehr darüber erfahren?
Wie kann er dazugehören?

Die Menge versperrt ihm die Sicht,
er klettert unbeachtet auf einen Baum.

Aber einer schaut ihn,
nimmt ihn als Person wahr.
Und spricht ihn mit Namen ganz persönlich an.
Jesus sieht ihn.

»Du siehst mich«
war vor 3 Jahren das Motto des Kirchentags, bei dem wir mitwirkten
und dann auch der Ausstellung, die wir bei FreiRaum gemacht haben.
Denn FreiRaum soll ein solcher Ort sein, an dem man als Person gesehen und liebevoll wahrgenommen wird.

Zachäus erlebt das:
der Suchende wird zum Gefundenen
der Verachtete wird zum Angesehenen
der Ausgeschlossene wird zum Angesprochenen.
Denn Jesu Antwort auf Scham ist Annahme.

Und dann wird der, der davon träumte ein Gast zu sein und noch nicht einmal eingeladen war, selbst zum Gastgeber.
Wir erleben das bei FreiRaum auch immer wieder, wie Menschen, die angesprochen und angesehen werden, schnell und gerne zu Gastgebern werden.

Das kann aber schnell zu Ärger und Gerede führen:
Die selbsternannten Verwalter der religiösen Ordnungen ziehen klare Grenzen.
Jemand, der voller Schuld ist, muss gemieden werden.
Wem Gottes Ordnungen und die eigene Herzensreinheit wichtig sind, hält besser Abstand.
Dass sich Jesus auf einen solchen Sünder einlässt, ist ein Skandal. Es entspricht absolut nicht der Reinheit, die die Menschen von ihm erwartet haben.
Um einer Person wie Zachäus willen ist Jesus aber bereit, sich unrein zu machen und Ordnungen aufzugeben.

Jesus, macht sich selbst zum Gast und Zachäus zum Gastgeber, er knüpft Beziehung auf Augenhöhe.
Wer mit Jesus am Tisch sitzt, wird damit Teil seiner Gemeinschaft.

Zachäus ändert aufgrund dieser Begegnung am Tisch sein Verhalten.
Sein selbstzentrierter Blick wird geweitet hin zu anderen Menschen.
Jesus sieht ihn an und öffnet damit seine Augen und sein Herz für die Menschen, die er vorher ausgebeutet hat.

Auch das durften wir erleben, dass Menschen durch Begegnungen bei Brot & Butter Vorurteile abgebaut haben und einen neuen liebevollen Blick für bestimmte Gruppen und Menschen geschenkt bekamen.

Jesus nimmt Zachäus an und schenkt ihm einen neuen Status:
»Er ist ein Sohn Abrahams!«
– er gehört dazu – zum Volk, zu Gottes Familie!
Und nicht nur er, sein ganzes Haus ist gerettet worden.

Zachäus bekommt seine Identität zugesprochen,
seine Ehre wird wiederhergestellt.
Und dabei fordert Jesus noch nicht einmal, dass er seinen Beruf, der ihn religiös unrein macht, aufgeben muss.

Für Jesus ist die Sache klar,
er ist gekommen,
um die, die verloren sind oder sich verloren fühlen,
zu suchen, anzusehen, anzunehmen und zu retten.
Sein Fokus liegt nicht auf denen, die schon da sind,
sondern auf den anderen, den Verlorenen.

Zachäus Verlorensein wird aufgehoben durch das Geschenk der Begegnung.
Die Tischgemeinschaft stellt seine Würde und Ehre wieder her.
So erfährt er seine Rettung im Angenommen sein und in der Zugehörigkeit zur Familie.

Abschluss

Darum ging es mir bei FreiRaum:
Diesen Aspekt des Evangeliums erfahrbar zu machen
– natürlich ohne die anderen Aspekte zu vergessen.

Die Erfahrung der Tischgemeinschaft ermöglicht es zu spüren, dass Gott Gemeinschaft mit uns Menschen sucht.

Als wir letzte Woche in der Kerngemeinschaft die Frage stellten »Wo hast du bei FreiRaum Gott erlebt?« war eine der Antworten: »In den Schilder, die wir auf die Straße stellen.«

Wenn da steht »Das offene Mitbring-Abendbrot« wird deutlich, dass alle Menschen eingeladen sind und sie keinerlei Bedingung erfüllen müssen: Es ist kein Treffen für Familien, Seniorinnen, Studierende, Kreative oder Christen.
Es ist ein Ort für alle.

Gott heißt uns alle Willkommen:
Die Religiösen und die Skeptiker,
die dazugehören und die Ausgeschlossenen,
die Kleinen und die Großen,
uns und euch,
dich und mich.

An seinem Tisch werden wir erlöst von unser Scham.
Seine Gnade überwindet unsere Wertlosigkeit.
Seine Zuwendung schenkt uns ein neues Bewusstsein für unsere Würde.
Seine Liebe öffnet unsere Augen für unsere innere Schönheit
– und für die Schönheit und den Wert der Menschen um uns herum.
Also für das, was Gott schon lange sieht.

Auch wenn wir wie Zachäus vielleicht zunächst nur Zaungäste sind, die aus sicherer Distanz beobachten,
sind wir als Gäste an Gottes Tisch und damit in seine Familie eingeladen
und können dann auch selbst zu Gastgebern werden.

Amen.

Ich wünsche euch allen die Gnade,
die der Herr Jesus Christus gewährt.
Ich wünsche euch die Liebe,
die Gott schenkt,
und die Gemeinschaft,
die der Heilige Geist bewirkt.

2. Korinther 13,13

Wie gehst du mit Stress um?

Am Sonntag geht es bei ELIA weiter mit der Predigtreihe zum Thema Arbeit. Diese Woche werde ich über das Thema Stress und Druck predigen.

Dazu habe ich zwei Fragen an dich:

  1. Wie gehst du mit Stress und Druck an der Arbeit (egal ob bezahlt oder unbezahlt (Hausarbeit, Studium, Ehrenamt…)) um?
  2. Welche Rolle spielt dabei dein Glaube bzw. Gott?

Ich würde mich sehr freuen wenn du mir per Kontaktformular oder hier in einem Kommentar kurz antworten könntest! Vielleicht helfen ja deine Erfahrungen anderen weiter …

Liest du die Bibel?

Am Sonntag predige ich bei ELIA im Rahmen der “Gute Gewohnheiten”-Reihe über das Lesen der Bibel.

Wenn du möchtest kannst, du dich etwas an der Predigtvorbereitung beteiligen, indem du folgende drei Fragen beantwortest (entweder per E-Mail an mich oder hier einfach einen Kommentar schreiben):

  1. Ist Bibel lesen eine (gute) Gewohnheit für dich? Warum (nicht)?
  2. Was hilft dir/würde dir helfen daraus eine gute Gewohnheit zu machen?
  3. Wie/wann/wie oft/mit wem liest du in der Bibel?

Vielen Dank!

Aufstehen, weil er auferstanden ist

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Am Sonntag habe ich bei ELIA zum Thema “Aufstehen! … weil er auferstanden ist.” gepredigt. Die Ausgangspunkte zur Predigt waren das 15. Kapitel des Korintherbriefs, der Artikel “Warum ich daran glaube” von Sabine Rückert aus der ZEIT und die Gedanken aus N.T. Wrights Buch Surprised by Hope, über die ich vor ein paar Wochen schon einmal gebloggt habe.

Die Predigt könnt ihr hier anhören (oder gleich den Podcast abonnieren) und einige Gedanken dazu (inkl. einiger Links und der Präsentation) auf dem ELIA-Blog nachlesen.

Und hier der ganze Abschnitt von N.T. Wright über die “Osteraktion”:

Ostern ist die Zeit, um neue Samen zu säen und ein paar Ableger zu pflanzen. Wenn die Passionszeit bedeutet, Dinge aus deinem Leben zu Grabe zu tragen, die absterben müssen, damit du als Christ und wahrer Mensch aufblühen kannst, dann sollte Ostern Pflanzen, Bewässern und Fördern von Dingen in deinem Leben bedeuten (persönlich und gemeinschaftlich). Von Dingen, die blühen, den Garten mit Farbe und Duft erfüllen und einmal Frucht bringen sollen. Die Osterzeit sollte ein Zeit sein, in der man die Fastenzeit dadurch ausgleicht, dass man etwas anfängt: Eine neue Aufgabe oder ein neues Projekt, etwas ganzheitliches und fruchtbares und aufgeschlossenes und sich-selbst-gebendes. Vielleicht kannst du es nur für sechs Wochen schaffen, so wie du nur für die Fastenzeit mal auf Bier oder Tabak verzichten kannst. Aber wenn du es wirklich ausprobierst, gibt es dir vielleicht eine Ahnung von neuen Möglichkeiten, neuen Hoffnungen, neuen Unternehmungen, von denen du noch nie geträumt hast. Es könnte etwas von Ostern in dein innersten Leben bringen. Vielleicht weckt es dich in einer ganz neuen Art und Weise auf. Und das ist es, worum es an Ostern geht.

(N.T. Wright, Surprised by Hope, S. 257, frei übersetzt von mir)

ASBO für den Augenblick 003

Nach einem Jahr Pause der dritte ASBO für den Augenblick:

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Übersetzung:

“Die Predigt dieser Woche hat das Thema…”

“Warte einen Augenblick… I habe bisher noch nicht die Predigt von letzter Woche in die Praxis umgesetzt!”


Nachtrag:

Einen kurzen (aber guten) Gedanken dazu findet man bei Stefan.

Faire Woche

Heute startet die Faire Woche. Es geht um Konsum. Fairen Konsum.

Fair Trade Blog Karneval

Dazu gibt es einen von Karma Konsum initiierten Blogkarneval. Alle Blogger sind dazu eingeladen, über fairen Handel zu schreiben. Ich mache mit, du auch?

Wie aufmerksame Leser wissen, ist Fair Trade ein Thema, dass für mich schon länger wichtig ist. Wobei ich zugeben muss, dass ich da auch noch nicht so konsequent bin…

Viele wichtige Gedanken zu dem Thema und vor allem auch die theologische Grundlage des fairen Handels, könnt ihr in einer Predigt von mir nach hören, die ich letzten Sommer während meines Praktikums hier in Erlangen hielt. Als ich diesen Sommer wieder kam, freute es mich sehr, dass mehrere Leute von sich aus auf mich zukamen und sagten, dass sie seitdem fair gehandelten Orangensaft kaufen.

Von mir gesammelte Links zum Thema findest du auf dem ELIA-Blog und bei del.icio.us.

Mal sehen, ob ich diese Woche noch mehr darüber schreiben werde